Komplementäre Onkologie (2019)

Portrait-Foto Hübner

Prof. Dr. Jutta Hübner

  • Professorin für Integrative Onkologie
  • Klinik für Innere Medizin II
  • Am Klinikum 1
  • 07747 Jena

Warum suchen viele Patienten Zuflucht bei Heilpraktikern oder gar Heilern?
Viele Krebspatienten wenden sich (teilweise auch dubiosen) komplementären Therapieverfahren zu, gehen zu Heilpraktikern, Ärzten für Naturheilverfahren oder sogar Heilern,

  • weil sie Angst vor den Methoden der Schulmedizin haben
  • weil solche Behandler sich mehr Zeit für sie nehmen
  • und/oder weil sie die Wirksamkeit solcher Verfahren bereits bei anderen (harmloseren) Erkrankungen erfahren haben.

Oft ist den Patienten nicht klar, dass sie dadurch wertvolle Zeit verlieren, in der sich die Prognose ihrer Krebserkrankung deutlich verschlechtern kann. Häufig liegen solchen Fehlentscheidungen Fehler in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient zugrunde. Fazit: Kommunikation ist die wichtigste ärztliche Tätigkeit, weil man im Rahmen des Anamnesegesprächs viele wichtige Informationen erhält und Diagnostik und Therapie verbessern kann. Patienten mit Angst vor den Behandlungsmethoden der Schulmedizin muss man signalisieren: Sie sind nicht allein! Wir helfen Ihnen, wenn es schwierig wird.

Ärzte sollten sich darum kümmern, welche Behandlungsmethoden ihre Krebspatienten „nebenher“ in Anspruch nehmen

Vor kurzem wurde eine Befragung von 1000 Krebspatienten aus 5 onkologischen Schwerpunktpraxen in Deutschland zur Inanspruchnahme von komplementärer und alternativer Medizin (KAM) (711 auswertbare Fragebögen) durchgeführt (Firkins R et al.: The use of complementary and alternative medicine by patients in routine care and the risk of interactions; J Cancer Res Clin Oncol 2018;144:551-557). Diese Umfrage ergab eine Anwendung von KAM bei 29% aller Patienten (Frauen 35,6% versus Männer 23,6%). Bei 54% der Patienten, die KAM nutzten, bestand ein Risiko potenzieller Wechselwirkungen zwischen den schul- und alternativmedizinischen Behandlungsverfahren, die angewendet wurden. Die meisten dieser Patienten nahmen Vitamin A, C, E und Heilkräuter ein. Solche unerwünschten Wechselwirkungen können sehr vielfältig sein: Dadurch kann die Wirksamkeit der Tumortherapie verschlechtert oder die Wirkung der Tumormedikamente (und damit auch die Nebenwirkungen) verstärkt werden. Wenn ein Patient plötzlich über Nebenwirkungen klagt, obwohl er seine Tumortherapie vorher gut vertragen hat, sollte man ihn nach der Nutzung alternativer Behandlungsmethoden fragen.

Neue Studie zur Misteltherapie bei Mammakarzinom

In einer prospektiven Studie mit 5-Jahres-Follow-up an 95 Patientinnen mit Mammakarzinom während Chemotherapie mit CAF wurden die Patientinnen in drei Gruppen eingeteilt: Mistel Helixor, Iscador M und Kontrollgruppe ohne Misteltherapie (Pelzer F et al.: Complementary Treatment with Mistletoe Extracts During Chemotherapy: Safety, Neutropenia, Fever, and Quality of Life Assessed in a Randomized Study. J Altern Complement Med 2018;24(9-10): 954-961). Das Ergebnis war ernüchternd: kein Unterschied in Rezidiven oder Metastasen, kein signifikanter Einfluss auf EORTC QLQ-C30 Scores (allerdings weniger Schmerz und Appetitverlust, Trend zu weniger Neutropenie). Auch ein Cochrane-Review hat keine gute Evidenz für die Misteltherapie ergeben.

Einfluss von Vitamin D auf das Überleben bei Mammakarzinom

Eine Metaanalyse ergab ein besseres Gesamtüberleben bei Vitamin D-Spiegeln über 55 nmol/l (Hu K et al: Circulating Vitamin D and Overall Survival in Breast Cancer Patients: A Dose-Response Meta-Analysis of Cohort Studies. Integr Cancer Ther. 2018 Jun; 17(2): 217-225). Es gibt aber noch keine prospektive Studie hierzu.

Sekundäre Pflanzenstoffe

Auch hier sind die klinischen Daten nicht ermutigend: Fast alle sekundären Pflanzenstoffe haben eine biphasische Wirkweise, d. h. wenn man zu viel davon einnimmt, schlägt die Wirkung häufig ins Gegenteil um. Viele schaden mehr, als sie nützen.

Quercetin: cave
Quercetin richtet laut einem Review (Andres S et al.: Safety Aspects of the Use of Quercetin as a Dietary Supplement. Mol Nutrition Food Res 2018;62(1) eher Schaden an. Es gibt keine Daten zu langfristiger Einnahme (>12 Wochen) von hochdosiertem Quercetin (>/=1000 mg). In Tierversuchen wurden eine Verstärkung nephrotoxischer Effekte bei vorgeschädigter Niere und eine Förderung der Karzinogenese insbesondere von östrogenabhängigen Tumoren beobachtet.
Eine Studie an 20 Patienten unter Hochdosischemotherapie mit dem Endpunkt orale Mukositis, die über 4 Wochen Quercetin 250 mg 2 x/d einnahmen, ergab, dass die mittlere Schwere der Mukositis in der Interventionsgruppe höher war.

Resveratrol: cave
Resveratrol wirkt im Tiermodell tumorwachstumsfördernd (Andreani C et al.: Resveratrol fuels HER2 and ERalpha-positive breast cancer behaving as proteasome inhibitor. Aging. 2017; 9(2): 508-23).

Curcumin: cave
Viele Patienten nehmen Curcumin hochdosiert ein. Auch hier ist Vorsicht geboten. Es gibt keine klinischen Daten zur Einnahme von Curcumin. Im Tierversuch wirkt es nephrotoxisch und kann sogar die Karzinogenese fördern. Es können unerwünschte Medikmenteninteraktionen auftreten; man soll diesen sekundären Pflanzenstoff also auf keinen Fall hochdosiert einnehmen. (Gattoc L et al.: Phase I dose-escalation trial of intravaginal curcumin in women for cervical dysplasia; Open Access J Clin Trials. 2017; 9: 1–10. Jain A, Rani V. Mode of treatment governs curcumin response on doxorubicin-induced toxicity in cardiomyoblasts. Mol Cell Biochem. 2018 May; 442(1-2): 81-96. Afsharmoghadam N et al.: Concentration-Dependent Effects of Curcumin on 5-Fluorouracil Efficacy in Bladder Cancer Cells. Asian Pac J Cancer Prev. Dec 28 2017; 18(12): 3225-3230)

Was kann der Patient denn dann selber tun?

Die beste Antwort auf die Frage „Was kann ich selber tun, um Krebs vorzubeugen oder einen Beitrag zur Heilung zu leisten?“ lautet nach wie vor: körperliche Aktivität. Außerdem sollen die Patienten viel Obst, Salat und Gemüse essen; diese Lebensmittel liefern ihnen alle sekundären Pflanzenstoffe, die sie benötigen.

Supportive Therapie

Außerdem sollten Ärzte prüfen, ob die supportive Therapie gut eingestellt ist; diese wird nämlich von vielen Patienten vernachlässigt.

  • Bei Muskel- und Gelenkbeschwerden hilft Vitamin D. (Khan QJ et al. Randomized trial of vitamin D3 to prevent worsening of musculoskeletal symptoms in women with breast cancer receiving adjuvant letrozole. The VITAL trial. Breast Cance Res Treat 2017;166(2):491-500.) Man sollte den Vitamin D-Spiegel messen und, wenn dieser zu niedrig ist, substituieren.
  • Bei Akupunktur gibt es keinen Beweis dafür, dass der eine oder andere Akupunkturpunkt besser funktioniert. Bei manchen Schmerzen hilft Akupunktur, aber es ist offenbar egal, wo man hinsticht. Auf Frequenz oder Schwere von Hitzewallungen bei Patientinnen mit Mammakarzinom hat Akupunktur keinen Effekt, bei Hormonentzugserscheinungen ebenfalls nicht. (Cave: Gefahr der Aussaat eines Mammakarzinoms nach Akupunktur!)
  • Homöopathie hilft nicht gegen Hitzewallungen.
  • Cannabis hilft nicht gegen Schmerzen.
  • Ginsengextrakt (in hohen Dosierungen von 1000–3000 mg/Tag) hat möglicherweise eine positive Wirkung bei Fatigue und verursacht keine unerwünschten Nebenwirkungen.
  • Ingwer hilft gegen Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie und verbessert den Appetit (allerdings nicht bei allen Patienten). Keine Nebenwirkungen.
  • Honig hilft bei radiogener oraler Mukositis; allerdings darf man keinen Manukkahonig verwenden, da dieser einen aggressiven Stoff enthält.
  • Ketogene Diät: Kein Benefit; führt zu Gewichtsabnahme und verursacht zahlreiche Nebenwirkungen (Übelkeit, Appetitmangel, Sedierung, fehlendes Durstgefühl, Dehydratation, Hypoglykämie, metabolische Azidose, Hyperlipidämie). Manche Tierexperimente weisen sogar auf ein verstärktes Tumorwachstum unter ketogener Diät hin.
  • Fasten um die Chemotherapie herum verbessert Übelkeit und Erbrechen.

Informationen zu Seminaren über komplementäre Onkologie gibt es unter http://prio-dkg.de, Faktenblätter (für Laien und Fachleute) unter www.stiftung-perspektiven.de.

Hier können Sie den Vortrag anhören: