Update Infektiologie 2019

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Prof. Dr. Rüdiger W. Braun

  • Zentrallabor Prof. Enders & Partner
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Update Infektiologie: Das Mikrobiom

Das Mikrobiom ist mit über 2 kg Gewicht unser größtes „Organ“ und umfasst über 1000 verschiedene Spezies mit speziellen Aufgaben und Stoffwechselfunktionen, die wir vielfach noch nicht kennen, sodass auch die therapeutische Nutzung dieses Wissens noch ganz am Anfang steht. Allerdings steht inzwischen fest, dass eine direkte Korrelation zwischen intaktem Mikrobiom und Gesundheit besteht.

Das Mikrobiom des Darms

Funktionen
Unsere Darmflora schützt uns nicht nur vor Pathogenen, sondern ermöglicht auch Stoffwechselvorgänge, ohne die wir nicht überlebensfähig wären. Und es erfüllt auch noch weitere wichtige Aufgaben wie z. B.:

  • Entgiftung toxischer Substanzen
  • Synthese von Vitaminen (B1, B2, B5, B7, Folsäure, E, K2). Die meisten dieser Vitamine können wir zwar auch mit der Nahrung aufnehmen, doch diese Vitaminaufnahme wird mit zunehmendem Alter immer ineffizienter. Vitamin K1 wird mithilfe von Coli-Bakterien zu Vitamin K2 – einer heterogenen Substanzgruppe – umgewandelt, wobei das Vitamin K2-MK7 eine besonders wichtige Rolle spielt. Dieses ist u. a. in Natto enthalten, einer in Japan beliebten Speise aus fermentierten Sojabohnen. Man führt sogar die höhere Lebenserwartung der Japaner auf den Konsum von Natto mit seinem hohen Vitamin K2-MK7-Gehalt zurück. Vitamin K2 – insbesondere die Untergruppe MK7 – sorgt dafür, dass das Kalzium unter Einwirkung von Vitamin D aus dem Darm resorbiert und dann nicht in den Gefäßen, sondern im Knochenmark eingelagert wird. Untersuchungen zufolge führt Vitamin K2-MK7 zu einer hochsignifikant reduzierten Gefäßsteifigkeit. In Japan gibt man Vitamin K2 – offenbar mit sehr gutem Erfolg – zur Osteoporoseprophylaxe.
  • Modulation der Immunantwort
  • Herstellung von essenziellen Aminosäuren und Neurotransmittern: Drei Viertel aller Neurotransmittersubstanzen werden vom Darmmikrobiom gebildet. So stellt die Darmflora beispielsweise in größeren Mengen Tryptophan her – eine Substanz, von der wir mit der Nahrung wahrscheinlich nicht genug aufnehmen können und die bei der Vorbeugung von Depressionen eine wichtige Rolle spielt. (Bei vielen depressiven Patienten lässt sich die Stimmungslage durch Gabe von Tryptophan bessern.)

Wo kommt die Darmflora her?
Die intestinale Besiedlung beginnt bereits im Mutterleib, aber auch der Geburtsvorgang spielt dabei eine wichtige Rolle. Per Sectio geborene Kinder zeigen zunächst eine gewisse Wachstumsretardierung und Gedeihstörung und haben im späteren Leben ein erhöhtes Risiko für Asthma und Zöliakie!
Die Muttermilch enthält bis zu 600 verschiedene Bakterienspezies: Durch das Stillen kommt es zur ersten Darmbesiedlung des Kindes mit Bifidobakterien und Lactobazillen. Durch die Umstellung auf feste Nahrung kommen weitere Bakterien hinzu, die den Abbau komplexer Zuckerstrukturen ermöglichen.

Das Mikrobiom der Haut

Die Hauptfunktion der Hautflora, die bei allen Menschen sehr ähnlich ist, besteht im Schutz vor Pathogenen. Unsere heutige genaue Kenntnis des Hautmikrobioms ermöglicht eine gezieltere Behandlung von Hauterkrankungen und -problemen. So weiß man beispielsweise inzwischen, dass Akne durch pathogene Propionibakterienspezies verursacht wird und mit Tetrazyklinen behandelbar ist. Auch bei der Entstehung von Körpergeruch spielt das Hautmikrobiom eine wichtige Rolle: Bei manchen Patienten befinden sich Corynebakterien in den Achselhöhlen. Diese Bakterien wandeln Schweißprodukte binnen Minuten in stark riechende flüchtige Fettsäuren und Thioalkohole um, sodass diese Menschen auch nach dem Duschen nach einer Stunde bereits „stinken“. Auch diese Fehlbesiedelung mit Bakterien muss man antiobiotisch behandeln; anders ist dem unangenehmen Schweißgeruch nicht beizukommen.

Das Mikrobiom des Mund-Rachen-Raums

Die Aufgabe dieses Mikrobioms besteht ebenfalls im Schutz vor Pathogenen; außerdem erfüllt es Stoffwechselfunktionen. Die erste orale Bakterienbesiedlung findet bereits vor der Geburt statt: Bakterien aus der Mundschleimhaut gehen über den Blutstrom auf den Fötus über. Der Zahnstatus der Mutter spielt für die spätere orale Gesundheit des Kindes eine wichtige Rolle und darf nicht vernachlässigt werden!

Hier können Sie den Vortrag anhören: