Update Palliativmedizin

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Dr. Jutta Hübner
Deutsche Krebsgesellschaft e.V. 
Kuno-Fischer-Str. 8
14057 Berlin
Tel. 030 322932951
 
 

 

Prognose unheilbar erkrankter Patienten

Wir Ärzte haben das Problem, aber auch die Gnade, nicht immer richtig einschätzen zu können, wann ein Mensch sterben wird. Eine Studie hat gezeigt, dass Prognose-Scores und Arzteinschätzung in solchen Situationen zwar stark miteinander korrelieren, dass diese Scores und Einschätzungen aber nur selten mit dem realen Überleben des Patienten übereinstimmen: Ärzte überschätzen das Überleben des Patienten im Durchschnitt um das 4,2-Fache! Deshalb sollten Ärzte auf die Patientenfrage „Wie lange habe ich noch?“ nicht mit einer klaren Zahl antworten. Andererseits hat der Patient ein Anrecht darauf, die ungefähre Größenordnung zu erfahren, denn manche Patienten haben noch etwas zu erledigen. In solchen Situationen kann man dem Patienten z.B. sagen: „Das, was Ihnen wichtig ist, sollten Sie heute oder morgen tun...“

Hoffnung und Ehrlichkeit

In einer Studie wurden 150 Patienten mit Lungenkarzinom in 2 Gruppen randomisiert: Standardtherapie oder Standardbehandlung mit zusätzlicher pallativmedizinischer Begleittherapie. Fazit: Mit Palliativtherapie war die Lebensqualität deutlich besser. Außerdem wurde durch die pallativmedizinische Begleittherapie eine Verlängerung des Überlebens erreicht, die sich durch kein modernes Medikament erreichen lässt. Die Studie zeigte, dass die Patienten auch nicht stärker unter Angst oder Depression leiden, weil sie wissen, dass sie sterben werden – man darf also ruhig ehrlich zu ihnen sein.

In einer anderen Studie wurden 194 Eltern von Kindern mit Krebs im ersten Behandlungsjahr danach befragt, wie oft die Kommunikation zur Erkrankung ihres Kindes mit dem Arzt sie hoffnungsvoll machte. Das Ergebnis: Eltern, die Aussagen zur Prognose bekamen, berichteten signifikant häufiger, dass sie aufgrund dieser Kommunikation Hoffnung verspürten. Sie erklärten, in dem Augenblick, in dem sie die (ungünstige) Prognose gewusst hätten, sei ihre Hoffnung sogar größer gewesen als vorher. Offensichtlich gibt das Gefühl „Hier ist ein Arzt, auf den ich mich verlassen kann, der mir zuhört und nicht vor der Wahrheit wegläuft“, den Patienten Hoffnung.

Möglichkeiten der Symptomkontrolle

Wenn der Tod absehbar ist, ist es Aufgabe der Palliativmedizin, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen. Dazu muss die Symptomkontrolle weiter fortgeführt werden.

Das Wichtigste: ausreichende Schmerztherapie!

Die Patienten sollten schmerzfrei sein. Wichtig: Tiefverwurzelte Mythen hinterfragen und Ängste beim Patienten ausräumen.

„Opioide machen abhängig“: In der Palliativmedizin ist dies kaum der Fall und außerdem auch nicht relevant.

„Man braucht mit der Zeit immer mehr, und wenn ich jetzt schon damit anfange, wirken sie hinterher nicht mehr“: Stimmt nicht – es gibt genug wirksame Mittel, man braucht am Anfang also nicht an Opioiden zu „sparen“; dadurch erhöht sich im Gegenteil das Risiko, dass der Patient ein Schmerzgedächtnis entwickelt. Viele Patienten haben jedoch diese Befürchtung und verleugnen deshalb ihre Schmerzen; dieses Thema muss man als Arzt u.U. aktiv ansprechen.

Man sollte die Patienten über die Nebenwirkungen einer Opioidtherapie aufklären und ihnen Arzneimittel zur Obstipations- und Übelkeitsprophylaxe mitgeben.

Dyspnoe

In den letzten 6 Wochen ihres Lebens leiden 70% der Patienten unter Dyspnoe. Dies ist vielleicht eines der schwierigsten palliativmedizinischen Symptome, denn es löst Angst aus und führt dazu, dass der Patient immer schneller atmet und die Atmung somit immer ineffektiver wird. Daher sollte man dem Patienten zuallererst ein Opioid zur Normalisierung der Tachypnoe und des Atemeinsatzes verabreichen (Dosis: 2,5–5–10 mg Morphin p.o. oder 2,3–5 mg s.c.; bei Vorbehandlung mit Morphin: Dosissteigerung um 50%). Bei fortbestehender Unruhe kann zur Anxiolyse zusätzlich ein Benzodiazepin (Midazolam 1–2,5 mg i.v., Lorazepam 0,5–1–2 mg) gegeben werden. Eine Sauerstofftherapie führt nur in wenigen Fällen zu einer messbaren Verbesserung.

Appetitmangel

Die Ursachen für Appetitmangel und Gewichtsverlust können in der palliativen Situation vielfältig sein. Wesentliches Element in der Behandlung ist eine geduldige und erfahrene Ernährungsberatung und individuelle Zusammenstellung der Nahrung. Eine medikamentöse Appetitanregung ist nur bedingt erforderlich. Hier muss man sich über seine Zielsetzung im Klaren sein  (bringt ein halbes Kilo mehr dem Patienten etwas?). Medikamentöse Theraieoptionen sind:

  • Dexamethason 2–4mg/d
  • Megestrol 160–320mg/d
  • MCP
  • Omega-3-Fettsäuren
  • Cannabis (Dronabinol 2 x 2,5–5 mg/d, bis 40 mg/d)

Eine enterale Ernährung ist nur bei ausgewählten Patienten effektiv. Bei refraktärer Kachexie wird das Anbieten von appetitanregenden Speisen und eine enterale Zusatzernährung empfohlen, wenn der mit der Nahrungsaufnahme verbundene Distress nicht zunimmt.

Obwohl es vereinzelt Situationen gibt, die die Einleitung einer parenteralen Ernährung erfordern, überwiegen die Belastungen durch eine solche künstliche Ernährung den Benefit.

In der weit fortgeschrittenen Krankheitssituation macht eine enterale oder parenterale Ernährung in aller Regel keinen Sinn mehr. In diesem Fall sollte, wenn erforderlich, nur eine vorsichtige Flüssigkeitsgabe erfolgen.

Flüssigkeitssubstitution am Lebensende

Das Ziel besteht in der Symptomlinderung. Wenn der Patient keinen Durst hat, benötigt er keine Infusion. Mehr Flüssigkeit verstärkt die Sekretbildung und führt zu mehr Luftnot und rasselnder Atmung. Durst entsteht durch trockene Schleimhäute; hier ist eine gute Mundpflege sinnvoller.

MZ